Richard Wagner VerbandKarlsruhe e.V. |
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Warum Richard Wagner uns trotz seiner Abgründe immer wieder neu in den Bann zieht
anderthalb Zentimeter über dem Boden. Nichts Komatöses, kein Wahn, nur ein kleines Schweben, von dem man sich wünscht, dass es nie wieder aufhöre. Der Grüne Hügel von Bayreuth provoziert dieses Schweben wie kein anderer Ort der sogenannten Hochkultur. Mit fünf, sechs Stunden Wagner in den Gliedern fühlt es sich an wie Fliegen. Spielzeugklein erscheint dem Besucher dann die Welt, das Festspielhaus ein Krümel, und alles Raunen und Gezeter um Richard Wagner verstummt. Was zählt, ist das Erlebte, sind Bilder und Klänge: Waltraud Meier in Heiner Müllers Tristan-Inszenierung, wie sie Isoldes Liebestod singt und das Bühnenbild hinter ihr zum golden strahlenden Kubus sich weitet; das Finale in Patrice Chéreaus Jahrhundert-Ring, der Moment, in dem Götter, Zwerge und Helden geschlossen an die Rampe treten und das Publikum fixieren: Ihr seid gemeint, niemand sonst; der Trauermarsch in der Götterdämmerung, wenn einer wie Christian Thielemann dirigiert, zornig und zart; oder der erste Auftritt des Ritters Lohengrin bei Hans Neuenfels, von einem tänzelnden Schwan begleitet und vom Beben des Chores getragen: »Ein Wunder, ein Wunder, ein unerhörtes, nie gesehnes Wunder!« Wagner kann Menschen verändern, eruptiver als Mozart, sinnlicher als Beethoven, handfester als Bach. Wagner kann überwältigen, Besitz ergreifen, allein durch die Länge und Lautstärke seiner Musik.
Wagner kann süchtig machen, indem er Kunst und Leben tauscht, Festspiel und Alltag, bis man es – frei nach Nietzsche – nirgendwo anders mehr aushält als in Bayreuth (es gibt auch einen inneren Grünen Hügel). Wagner kann Weltanschauung werden, Glaubenssache, Kult. Und wurde es, über ideologische Klippen hinweg: bei Ludwig II., dem Märchenkönig und Mäzen, wie unter Adolf Hitler, bei den Freunden und Feinden des Regietheaters nach 1968 nicht anders als in seiner heillos zerstrittenen Familiendynastie. Oft kamen sich Alt-Faschisten und Linke dabei näher, als ihnen gegenseitig lieb sein konnte.
Warum er das alles kann, vor vielen anderen Genies, mit solch unerschöpflicher Wirkungsmacht und -fülle? Drei simple Gründe: Weil er sich die repräsentativste der darstellenden Künste ausgesucht hat, die Oper, und uns in ihr nach wie vor lebendig begegnet. Weil er für seine radikalen künstlerischen Visionen ein Haus baute, das weltweit als Leuchtturm deutscher Kultur gilt. Und weil er über Nachkommen verfügt, die es seit Cosima und Winifred mühelos in die Klatschspalten schaffen. Wagner ist (an)fassbar. Das macht es so erfüllend, so erotisch, sich mit ihm zu beschäftigen. Wobei alle genannten Gründe ohne die schwindelerregende Qualität und Kühnheit seiner Musik null und nichtig wären.
Die meisten Menschen indes sind noch nie Zeugen des Wagner-Wunders gewesen, weder in Bayreuth noch anderswo, und werden es wohl auch nie sein. So will es die Konvention, der zufolge Oper etwas Elitäres, Unverständliches, Dröges und geriatrisch Gestriges ist – mit Wagner als der lächerlichsten aller Speerspitzen. Und so will es Wagner selbst, sein notorisch schlechter Ruf: als Neider, Schmarotzer und Ehebrecher, als Hypochonder, Gelegenheitstransvestit und Choleriker, als Salonrevoluzzer und glühender Antisemit. Warum sollte man sich um einen wie ihn heute bemühen?
Spätestens seit Francis Ford Coppolas Vietnam-Drama Apocalypse Now (mit dem Walkürenritt als Soundtrack einer Hubschrauberattacke) ist der Name Wagner zur Marke geworden: für etwas jenseits jeden bürgerlichen Kunstgenusses. Und wie das so ist – bald weiß niemand mehr, wofür sie eigentlich steht. Für etwas Totalitäres, blindwütig Bombastisches, Grässliches? Für die Vorstellung, dass der Mensch in der dunklen Theaterhöhle zu seinem wahren Selbst erwacht und sich aller soziokulturellen Fesseln entledigt? Die Wagner-Rezeption hat viele Ungeheuer hervorgebracht, kein Zweifel, und wer ihr böse will, spricht weiter von Wagners Hitler statt von Hitlers Wagner oder unterstellt, dass auch Osama bin Laden ein Wagnerianer vor Allah gewesen wäre, hätte er von dem kleinen Sachsen nur gewusst. Musikalisch-analytisch belegen lässt sich weder das eine noch das andere.
Wer den Fuß allerdings über die Schwelle eines Opernhauses setzt, macht andere Erfahrungen. Wagner, im Leben der Meister des Entweder-Oder, setzt in der Kunst geradezu dialektisch immer auch das Gegenteil in sein Recht: Geld und Liebe wie im Ring, Venusberg und Wartburg wie im Tannhäuser, König Marke, den Gehörnten, neben Tristan, den Helden. Das ist die Spannung, der Magnetismus, aus dem Wagner uns partout nicht entlässt. Man kann ihn dafür vergöttern oder verdammen: Lau wird es nie. Ganz oder gar nicht, ja oder nein, lautet die Devise, und sie ist weniger einfältig, als man denkt. 2013 dürfte sie das Zeug zu jener utopischen »Feuerkur« haben (im reinigenden, durchaus militanten und jedenfalls kunstübergreifenden Sinn), die Wagner sich einst von der Gründung der Bayreuther Festspiele versprach. In Zeiten wie den unsrigen, in denen die Gestaltung von Gesellschaft zunehmend mit dem Buhlen um Mehrheiten verwechselt wird und politische Machtsicherung bedeutet, sich schadlos aus allem herauszuhalten, könnte uns der Umgang mit Wagner zu einer neuen Entschiedenheit verhelfen. An seinem Werk könnten wir üben (denn was ist große Kunst anderes als eine Einübung ins bessere Leben?), was uns schmerzlich abhandengekommen ist: wieder Partei zu ergreifen, mit Herz und Hirn ein Bekenntnis abzulegen.
eigenen Haaren aus dem ideologischen Sumpf herauszieht, in dem er oft zu versinken drohte. Und diese magischen Haare sind sein einzigartiges musikdramatisches Werk, in dem sich Mythos und Modernität, Klangmagie und Seelenzauber, Verführungskraft und Menschlichkeit zu einem Netz verknüpfen, das unsere ganze Seele gefangen nimmt.
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