Richard Wagner Verband


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Warum Richard Wagner uns trotz seiner Abgründe immer wieder neu in den Bann zieht


(Auszug aus einem Artikel von Christine Lemke-Matwey vom 03. Januar 2013, erschienen in "Die ZEIT")

Am Ende sind es die beflügelnden

anderthalb Zentimeter über dem Boden. Nichts Komatöses, kein Wahn,

nur ein kleines Schweben, von dem man sich wünscht, dass es nie

wieder aufhöre. Der Grüne Hügel von Bayreuth provoziert dieses

Schweben wie kein anderer Ort der sogenannten Hochkultur.

Mit fünf, sechs Stunden Wagner in den Gliedern fühlt es sich an wie Fliegen.

Spielzeugklein erscheint dem Besucher dann die Welt, das Festspielhaus

ein Krümel, und alles Raunen und Gezeter um Richard Wagner verstummt.

Was zählt, ist das Erlebte, sind Bilder und Klänge: Waltraud Meier in

Heiner Müllers Tristan-Inszenierung, wie sie Isoldes Liebestod singt und das

Bühnenbild hinter ihr zum golden strahlenden Kubus sich weitet;

das Finale in Patrice Chéreaus Jahrhundert-Ring, der Moment, in dem Götter,

Zwerge und Helden geschlossen an die Rampe treten und das Publikum

fixieren: Ihr seid gemeint, niemand sonst; der Trauermarsch in

der Götterdämmerung, wenn einer wie Christian Thielemann dirigiert,

zornig und zart; oder der erste Auftritt des Ritters Lohengrin bei Hans Neuenfels,

von einem tänzelnden Schwan begleitet und vom Beben des Chores

getragen: »Ein Wunder, ein Wunder, ein unerhörtes, nie gesehnes Wunder!«

Wagner kann Menschen verändern, eruptiver als Mozart, sinnlicher als Beethoven,

handfester als Bach. Wagner kann überwältigen, Besitz ergreifen, allein durch

die Länge und Lautstärke seiner Musik.

 

Wagner kann süchtig machen, indem er Kunst und Leben tauscht,

Festspiel und Alltag, bis man es – frei nach Nietzsche – nirgendwo anders

mehr aushält als in Bayreuth (es gibt auch einen inneren Grünen Hügel).

Wagner kann Weltanschauung werden, Glaubenssache, Kult. Und wurde es,

über ideologische Klippen hinweg: bei Ludwig II., dem Märchenkönig

und Mäzen, wie unter Adolf Hitler, bei den Freunden und Feinden des

Regietheaters nach 1968 nicht anders als in seiner heillos zerstrittenen

Familiendynastie. Oft kamen sich Alt-Faschisten und Linke dabei näher,

als ihnen gegenseitig lieb sein konnte.

 

Warum er das alles kann, vor vielen anderen

Genies, mit solch unerschöpflicher Wirkungsmacht und -fülle? Drei

simple Gründe: Weil er sich die repräsentativste der darstellenden

Künste ausgesucht hat, die Oper, und uns in ihr nach wie vor lebendig

begegnet. Weil er für seine radikalen künstlerischen Visionen ein Haus

baute, das weltweit als Leuchtturm deutscher Kultur gilt.

Und weil er über Nachkommen verfügt, die es seit Cosima und Winifred

mühelos in die Klatschspalten schaffen. Wagner ist (an)fassbar.

Das macht es so erfüllend, so erotisch, sich mit ihm zu beschäftigen.

Wobei alle genannten Gründe ohne die schwindelerregende Qualität und

Kühnheit seiner Musik null und nichtig wären.

 

Die meisten Menschen indes sind noch nie Zeugen des Wagner-Wunders

gewesen, weder in Bayreuth noch anderswo, und werden es wohl auch nie

sein. So will es die Konvention, der zufolge Oper etwas Elitäres,

Unverständliches, Dröges und geriatrisch Gestriges ist – mit Wagner als der

lächerlichsten aller Speerspitzen. Und so will es Wagner selbst, sein notorisch

schlechter Ruf: als Neider, Schmarotzer und Ehebrecher, als Hypochonder,

Gelegenheitstransvestit und Choleriker, als Salonrevoluzzer und

glühender Antisemit. Warum sollte man sich um einen wie ihn heute bemühen?

 

Spätestens seit Francis Ford Coppolas Vietnam-Drama Apocalypse Now (mit

dem Walkürenritt als Soundtrack einer Hubschrauberattacke) ist der

Name Wagner zur Marke geworden: für etwas jenseits jeden bürgerlichen

Kunstgenusses. Und wie das so ist – bald weiß niemand mehr, wofür sie

eigentlich steht. Für etwas Totalitäres, blindwütig Bombastisches,

Grässliches? Für die Vorstellung, dass der Mensch in der dunklen Theaterhöhle

zu seinem wahren Selbst erwacht und sich aller soziokulturellen Fesseln

entledigt? Die Wagner-Rezeption hat viele Ungeheuer hervorgebracht, kein

Zweifel, und wer ihr böse will, spricht weiter von Wagners Hitler statt von

Hitlers Wagner oder unterstellt, dass auch Osama bin Laden ein Wagnerianer

vor Allah gewesen wäre, hätte er von dem kleinen Sachsen nur gewusst.

Musikalisch-analytisch belegen lässt sich weder das eine noch das andere.

 

Wer den Fuß allerdings über die Schwelle

eines Opernhauses setzt, macht andere Erfahrungen. Wagner, im Leben der

Meister des Entweder-Oder, setzt in der Kunst geradezu dialektisch immer auch

das Gegenteil in sein Recht: Geld und Liebe wie im Ring, Venusberg und

Wartburg wie im Tannhäuser, König Marke, den Gehörnten, neben Tristan,

den Helden. Das ist die Spannung, der Magnetismus, aus dem Wagner uns

partout nicht entlässt. Man kann ihn dafür vergöttern oder verdammen:

Lau wird es nie. Ganz oder gar nicht, ja oder nein, lautet die Devise, und

sie ist weniger einfältig, als man denkt. 2013 dürfte sie das Zeug zu jener

utopischen »Feuerkur« haben (im reinigenden, durchaus militanten und jedenfalls

kunstübergreifenden Sinn), die Wagner sich einst von der Gründung

der Bayreuther Festspiele versprach. In Zeiten wie den unsrigen, in

denen die Gestaltung von Gesellschaft zunehmend mit dem Buhlen um

Mehrheiten verwechselt wird und politische Machtsicherung bedeutet,

sich schadlos aus allem herauszuhalten, könnte uns der Umgang mit

Wagner zu einer neuen Entschiedenheit verhelfen. An seinem Werk

könnten wir üben (denn was ist große Kunst anderes als eine Einübung

ins bessere Leben?), was uns schmerzlich abhandengekommen ist:

wieder Partei zu ergreifen, mit Herz und Hirn ein Bekenntnis abzulegen.


Wagner ist der Münchhausen der Kulturgeschichte, der sich immer wieder an den

eigenen Haaren aus dem ideologischen Sumpf herauszieht, in dem er oft zu versinken

drohte. Und diese magischen Haare sind sein einzigartiges musikdramatisches Werk,

in dem sich Mythos und Modernität, Klangmagie und Seelenzauber, Verführungskraft

und Menschlichkeit zu einem Netz verknüpfen, das unsere ganze Seele gefangen nimmt.


 


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